KonfliktAbility ist zentral für Glück, Team-spirit und Mental Health
KonfliktAbility ist nicht nur Kommunikation – sondern auch Ressource für mentale Gesundheit
Immer wenn ich Zeit finde, sitze ich gerade an der Weiterentwicklung der Module für meine KonfliktAbility-Trainings. Heute bin ich dabei auf einen wissenschaftlichen Artikel gestoßen, der mir – fast wie eine wiederentdeckte Goldader – einen Fundus an verschütteter wissenschaftlicher Evidenz f (aus den 1970er und 1980 Jahren) für meine zentrale These liefert:
Wir könnten uns viele Mediationen, Coachings und eskalierende Konfliktdynamiken – ebenso wie Burn-outs und Energieverluste in Teams – sparen, wenn Menschen frühzeitig in dem trainiert würden, was ich KonfliktAbility nenne.
KonfliktAbility zu erlangen bedeutet:
resilienter zu werden gegenüber psychischen Störungen wie Angstzuständen und Depression –
aber auch: friedfertiger, klarer, beziehungsfähiger, zufriedener.
Oder anders gesagt: KonfliktAbility – die Fähigkeit, sich selbst einzubringen und die eigenen Bedürfnisse zu vertreten, während man den anderen dabei mitdenkt – ist nicht nur Kommunikationstechnik, sondern psychische Ressource.
Ein gesundheitsförderliches, resilienzbildendes Kernkompetenzfeld. Eine Kernkompetenz für mentale Gesundheit.
Was sagt die Forschung zu mental Health und KonfliktAbility?
Der Artikel, den ich meine, stammt aus den USA und trägt den bezeichnenden Titel: „Assertiveness Training: A Forgotten Evidence-Based Treatment“ (Speed, B. C., Goldstein, B. L., & Goldfried, M. R., 2017). Hier ist eine lange Literaturliste durchgearbeitet worden und die zentralen Erkenntnisse aus der Forschung zusammengetragen worden.
Darin wird die Rolle von Assertiveness – meist mit „Durchsetzungskraft“ übersetzt – als zentraler psychologischer Wirkfaktor beschrieben. Und zwar nicht nur für psychisch Erkrankte, sondern ganz grundsätzlich für Wohlbefinden, soziale Gesundheit und stabile Beziehungen und Friedfertigkeit.
Besonders spannend fand ich diese Erkenntnisse:
Menschen mit Depression oder Angststörungen zeigen überproportional häufig eine schwache oder gar keine Durchsetzungsfähigkeit.
Bei Frauen geht Durchsetzungsschwäche häufig mit Depression, bei Männern mit Feindseligkeit einher.
Wer sich nicht durchsetzen kann, ist häufiger sozial ängstlich, hat schlechtere Beziehungen – und auch unzufriedenere Ehen.
Durchsetzungskraft ist erlernbar, und zwar über kognitive und verhaltensbasierte Methoden.
Durchsetzungstrainings helfen ähnlich gut wie Psychotherapie bei Depression.
Sie verbessern die Beziehungszufriedenheit in Langzeitpartnerschaften.
Und sie machen verhaltensauffällige Jugendliche gesellschaftsfähiger.
Mit anderen Worten: Eine gesunde Durchsetzungsfähigkeit schützt nicht nur vor Überlastung und Konflikten – sie stärkt auch das Selbstwertgefühl, beugt psychischer Erkrankung vor und fördert friedlichere Beziehungen.
Was genau ist mit Durchsetzungs-fähigkeit gemeint?
Die Definition, auf die sich viele Studien beziehen, stammt von Alberti & Emmons (1970). Assertiveness bezeichnet:
„Jede Handlung, die dem eigenen besten Interesse dient – einschließlich für sich selbst einzustehen, ohne übermäßige Angst, die eigenen Gefühle auszudrücken und die eigenen Rechte wahrzunehmen, ohne dabei die Rechte anderer zu verletzen.“
Der Psychologe Arnold Lazarus konkretisierte vier Grundfähigkeiten, die durchsetzungsstarke Menschen auszeichnen:
offen über eigene Wünsche und Bedürfnisse sprechen können
Nein sagen können
Gefühle – sowohl positive als auch negative – offen ausdrücken
soziale Kontakte aktiv gestalten: also Gespräche beginnen, aufrechterhalten und beenden können
Diese Kompetenzen scheinen auf den ersten Blick banal. Aber sie sind es nicht. Viele Menschen – mich eingeschlossen – erleben in ihrem Alltag, wie schwer es sein kann, das auszudrücken, was man wirklich braucht, vor allem wenn man vermutete oder weiß, dass es im Konflikt mit dem gerät, was das Gegenüber sich gerade wünscht.
Es ist schwer für viele Menschen, jemandem freundlich, aber bestimmt eine Grenze zu setzen, ohne ihn abzuwerten. Oder einfach mal zu sagen: „Das will ich nicht.“, ohne das Gegenüber blöd zu finden. Oder jemanden, der einem eine ganze (lange) Geschichte erzählen möchte, zu sagen: „so viel kann und will ich gerade gar nicht hören“, oder sogar: „das interessiert mich gar nicht.“ Ohne dabei zu denken, dass das Gegenüber ein labernder, männlicher, Blödmann ist
Warum wurde das vergessen?
Ab den 1980er-Jahren verlagerte sich der Fokus in der Psychologie stark auf individuelle Diagnosen (DSM) und medizinische Behandlungsmodelle. Transdiagnostische Konzepte wie Assertiveness gerieten ins Abseits – obwohl ihre Wirksamkeit vielfach belegt war. Viele Inhalte wurden in neue Methoden integriert, aber oft ohne dass sichtbar blieb, dass es im Kern um Durchsetzungskraft ging.
KonfliktAbility – mein Begriff für das, was wirkt
Mir geht es mit KonfliktAbility nicht um pathologische Muster, sondern um die „ganz normale“ Schwierigkeit vieler Menschen, sich klar und respektvoll zu behaupten, ohne den anderen ganz oder teilweise abzuwerten. Diese Schwäche sehe ich bei Klient:innen, in Teams – und auch in mir selbst.
Was mich so begeistert: Die Forschung bestätigt meine Erfahrung –
Eine gute, gesunde Durchsetzungsfähigkeit schützt.
Sie schützt vor Depression, Angst, innerem Rückzug, aggressiven Ausbrüchen – und vor ungesunden Machtspielen in Beziehungen.
Und sie schafft Spielraum für eine Konfliktfähgikeit, die Aspekte von kraftvoller Leichtigkeit hat: In Verbindung bleiben, auch wenn es ruckelt. Klar sein, auch wenn es wackelt. Und dabei auf Augenhöhe bleiben – mit sich selbst und den anderen.